vom handlungsgeschick der worte
stur bahnt sich das stumme, verpackungsbraune ungeheuer seinen weg vom vorderen eingangsbereich bis in den letzten und zugleich ersten raum der chemnitzer galerie hinten. seine kompro-misslose körperliche anwesenheit sprengt fenster und türrahmen. so unerbittlich raumgreifend ist es, dass einem der übliche galerieraum selbst dann verwehrt bleibt, wenn man sich durch die hintertür anschleicht. üble zeiten für speditionsan-lieferungen? rauminstallation im bereich stapelkunst? oder platzhalter und projektionsfläche?
neun titelschilder geben zunächst aufschluss darüber, dass der verpack-ungsberg kein kunstwerk sein will.
neun titelschilder erzeugen wie aufein-ander abgestimmte vorspeisen appetit auf den hauptgang, die namen der werke lesen sich wie eine kurzgeschichte, die materialangaben befriedigen erste auf-kommende technische nachfragen.
doch schon diese leichte lektüre birgt existentielle zweifel. wird hier überhaupt ein hauptgang serviert? oder ist alles ein bluff – leere verpackungen, leere versprechungen?
eine frage steht im raum: „was nützt die arbeit in gedanken?“ oder anders gesagt: „ist das kunst oder ist es schon weg?“ – mit diesen worten eröffnet matthias zwarg die vernissage und erntet die ersten lacher und vehementen widerspruch zugleich.
denn die neun kunstwerke sind durchaus vorhanden, auch wenn sie nicht im klas-sischen sinne materiell erfahrbar sind. was man sehen will, findet man im eigenen kopf, im bauch und im herzen vielleicht. das wesentliche ist für die augen unsichtbar, flüstert der kleine prinz. ein zartes heft vereint die gedan-ken, die den werken zugrunde liegen, die finale autorenschaft am werk geben wir frei.
schmatzend reiben sich die verzauberten lektüreliebhaber nun ihre bäuche und nicken zufrieden. „eine wegweisung!“, und zwar geradewegs raus aus fiktionas küche rein in die lügenfreie kunstwirklich-keit. was macht es denn für einen unter-schied, ob eine wahrheit mit worten oder bildern behauptet wird? hauptsache, sie hat keine zwei linken füße.
ob man die werke kaufen könne, werden wir gefragt. dass wir von der bildenden kunst in die schreibende zunft emigriert wären, dichtet man uns an. wann wir die werke denn zu verwirklichen gedächten? die gespräche durchstreifen alle sphären – theologisches, philosophisches, analytisches und politisches dickicht säumt den wegesrand. niemand fragt, wie es sich anfühlt, ein kunstwerk in gedanken zur welt zu bringen. manchmal wiegt es 83.375 tonnen. in jedem fall ist es schwer, es schon von dort aus gehen zu lassen.
wenig später nicken wir dem laudator* heftig zurück, denn "bei uns im kunst-business" muss handeln platin sein. denken, hoffnung und utopie sind eben "nicht nur luftschlösser, sondern [können sich] auf konkrete inhalte richten: auf einen realen humanismus, eine gesellschaft, in der menschen das ihnen zustehende naturrecht zu handeln, sich selbst als geltenden wert fordernd einzubringen, nicht stehenzubleiben in der position der erniedrigten und beleidigten, in anspruch nehmen und einen aufrechten gang wagen können".
*vielen dank an matthias zwarg.
was nützt die arbeit in gedanken?
eine ausstellung mit werken von
:: lysann németh
:: saskia göldner
:: elke jänicke
vernissage
28.09.2013 :: 19 uhr
im anschluss im klub lokomov
gedankenverloren tanzen
ausstellung
29.09. bis 19.10.2013
15 bis 20 uhr
galerie hinten
augustusburger str. 102
09126 chemnitz
ansichtssache
wir treffen uns wieder, diskutieren über richtungsentscheidungen und herbstzeitlose, lassen blicke vom balkon und ins glas schweifen. am nächsten vormittag bellt uns eine idee an. noch bevor wir uns darüber wundern können, wie zeitig sie hier aufgetaucht ist, sind schon die ärmel hochgekrempelt und wir beginnen mit dem, was wir vielleicht am besten miteinander können: wir verdichten die unterschiedlichen gedanken zu mehrdimensionalen konzepten und lassen die synapsen knacksen, was das zeug hält.
kunstwerke werden unsterblich, wenn sie mythenbildend sind, sich in gedanken verankern. am selben ort, nämlich im nachdenken über die welt, im entwerfen eines konzepts, im setzen eines erzählstranges steckt aber auch das potenzial, das kunstwerke erst entstehen lässt.
„doch vielleicht ist das erlebnis das element, in dem die kunst stirbt.“ (heidegger, 1936)
braucht man denn das kunstwerk als solches? oder ist die abbildung nur dazu da, die kunst materiell fassbar und verwertbar zu machen? extremer formuliert: funktioniert das werk vorrangig als götzenbild, als pilgerstätte für gläubige?
in der entstehenden ausstellung untersucht das institut für wahre kunst, ob man den schritt der abbildung der gedanken mittels kunst überspringen kann. mit dem ansatz, kunst bleibe unvergänglich, solange man über sie schreibt, versuchen die drei künstlerinnen eine kollektive leerstelle so zu präsentieren, dass sie dennoch sinnlich erfahrbar wird. konserviert im luftschloss der gedanken, fragt die ausstellung danach, welchen nutzen und wert eine ausformulierte Idee leisten kann – im umkehrschluss also, was die visuelle darbietung und ihre perzeption eigentlich vermögen.